Felix Philipp Ingold: LyrikText

Zwischen Anonymität und Exhibitionismus

Aktuelle Autorschaft und Werkkritik

I

Anonymität ist ein ambivalentes Faszinosum, in künstlerischen Dingen ebenso wie in der Welt des Verbrechens, der Spionage, der Maskerade – ambivalent deshalb, weil anonyme Autor- oder Täterschaft den Ursprung eines Werks, das Motiv und Ziel einer Handlung verunklärt, gleichzeitig jedoch, eben deshalb, das Interesse daran erhöht und die Spekulationen darüber verstärkt.
Im Bereich der sogenannten Primärliteratur (vom Sachbuchsektor zu schweigen) gilt Anonymität heute weithin als suspekt, gar als inakzeptabel. Ein Text ohne klare auktoriale Zuschreibung kann weder vor dem Publikum noch vor der Kritik bestehen. Wo ein Autor nicht namhaft zu machen ist, wird der Text (der ja doch in jedem Fall einen Autor hat) anstandslos desavouiert und bleibt vom Literaturbetrieb in aller Regel ausgeschlossen: Weder Agenten noch Verleger mögen sich darauf einlassen, zu gross ist das Risiko, einem Fake, einer Manipulation aufzusitzen, und vollends für Literaturpreise kommen Werke „ohne Autor“ schon gar nicht in Frage.

Ungeachtet seiner womöglich hohen künstlerischen Qualität wird der anonyme Text auch dann, wenn er (wie einst im Fall von „Traven“, „M. Agejew“ oder neuerdings von „Elena Ferrante“) einmal doch — und noch so erfolgreich — zur Veröffentlichung kommt, stets obsolet bleiben, da Kritiker und Juroren (nicht anders als die Verlagswerbung) durchweg auf die Autorschaft fixiert bleiben und weder bereit noch in der Lage sind, namenlose Werke als solche zu würdigen. Man stelle sich eine literarische Saison oder auch bloss eine der grossen Buchmessen vor, die ausschliesslich von anonymen Verfassern bestritten würden – eine Neuerscheinung zu erwerben, sie zu besprechen, zu bewerten oder gar öffentlich auszuzeichnen, bliebe dann ohne jedes Interesse.

Alles, was das Image eines Autors ausmacht, sein Alter, sein Geschlecht, sein Aussehen, seine soziale und intellektuelle Herkunft – all diese realen Anhaltspunkte wären ausgeblendet, und man hätte es also mit entsprechend neutralen Texten zu tun, die für sich selbst stünden und deshalb auch aus sich selbst verstanden und erklärt werden müssten. Nicht nur das Besprechungswesen und die Preisgerichte, der Literaturbetrieb insgesamt käme unweigerlich zum Erliegen.

Für die professionelle Kritik wäre diese Situation ein lästiges, aber förderliches Exerzitium – die Texte einfach als das zu nehmen, was sie sind, was Schwarz und Weiss vor Augen steht, was ohne ausserliterarischen Zusammenhang zu begutachten ist. Das müsste ja eigentlich selbstverständlich sein, läuft aber der gängigen Praxis empathischer Lektüre zuwider, die sich primär, wenn nicht ausschliesslich an der Autorschaft und am Realitätskontext des Werks orientiert. Was dieser Autor, was jene Autorin zu sagen hat, was also der Text an Bedeutung mit sich führt, ist durchweg dem vorgeordnet, wie es formal bewerkstelligt wird.

Man kann das nachvollziehen, da Sprache naturgemäss auf Mitteilung angelegt ist, mithin eine Hilfs-, eine Trägerfunktion zu erfüllen hat. Doch wo es um Literatur geht, um künstlerischen Spracheinsatz also, da müsste diese utilitäre Grundfunktion in formaler Hinsicht (rhetorisch, stilistisch) merklich überboten werden: Eben deshalb spricht man ja seit eh und je von „schöner“ Literatur, von Belletristik im Unterschied zu Alltags-, zu Gebrauchstexten.
Die althergebrachte Debatte um das Wie literarischer Arbeit (Schreibverfahren und -strategien, Textkomposition und -instrumentierung u.a.m.) war noch vor einem halben Jahrhundert höchst aktuell, als die strukturalistische Sprach- und Literaturforschung ihr Interesse vorrangig auf Formfragen fokussierte – vom Anagrammieren bis hin zur Verwendung von Farbbezeichnungen, Personalpronomen oder Eigennamen in künstlerischen Texten. Dazu kamen, zu gleicher Zeit, die asketischen Schreibverfahren des Nouveau roman, des Oulipo, der konkreten Poesie, Techniken, durch die das Was (Inhalt, Bedeutung radikal aus den Texten ausgetrieben wurde zugunsten des Wie (Machart, Kunstgriff), das vorübergehend zum eigentlichen und einzigen „Helden“ der Literatur mutierte.

Dem Autor als Schöpfer und Meinungsführer wurde damit der Abschied, sogar der „Tod“ gegeben – er verlor seine Autorität an die Sprache als angeblich autopoietisches Organon, das ohne individuelle Kreativität auskommt, sich nach vorgegebenen Strukturen und Regeln selbst organisiert und somit deutlich macht, dass im Grund jeder literarische Text „autorlos“, folglich anonym ist.
Die elementare Ambivalenz aller Autorschaft hat einst Roland Barthes resignativ auf den Punkt gebracht mit dem bekenntnishaften Satz: „Man wird gelesen, ohne es sein zu können.“ Eine merkwürdig verquälte Formulierung, in der das unsinnige Bedauern mitschwingt, als Autor nicht mit dem eigenen Text eins sein, nicht in ihm aufgehen und verschwinden zu können, um für die Leserschaft zuletzt und auf immer als Text fassbar zu werden. Barthes‘ Ansinnen, vielleicht auch bloss seine Sehnsucht bestand darin, als Autor „geliebt“ zu werden, und um dies zu erreichen, war er unentwegt bemüht, beim Leser, bei der Leserin ein entsprechendes Textbegehren zu provozieren. Doch selbst dann, wenn wir „Barthes“ mit höchstem Vergnügen und Gewinn lesen, werden wir nie mit ihm selbst noch mit seinem Werk „ein Leib“ sein – ist ja klar, und doch bleibt es ein Problem, ein Defizit, bei Autoren und Lesern gleichermassen.

Das ausgeprägt formalistische Interesse an literarischen Texten hat in den 1960er/1980er Jahren wohl einen entsprechenden Epochenstil hervorgebracht, war aber doch von relativ kurzer Wirkungsdauer und ist inzwischen weitgehend vergessen. Dass Sprachartisten wie einst Heissenbüttel oder auch noch Pastior heute mit dem Büchnerpreis ausgezeichnet würden, ist ebenso undenkbar wie die Vergabe des Nobelpreises an einen traditionalistischen Verskünstler wie Joseph Brodsky oder einen Beschreibungskünstler vom Typ und vom Rang des einstigen französischen Laureaten Claude Simon. Undenkbar allein deshalb, weil es solche Autoren kaum noch gibt und weil Kritik und Publikum mit formstarker Literatur schon gar nicht mehr umzugehen wissen.

Heutige Belletristik kommt weitgehend ohne sprach- und stilkünstlerische Experimente aus, pflegt mehrheitlich eine publizistische, der Gebrauchssprache angenäherte Schreibweise, die vorab Informationen liefern soll, sei’s über private Befindlichkeiten (wie Verfolgung, Missbrauch, Flucht, Krankheit, Sucht), sei’s über historische – oder auch utopische, dystopische – Ereignisse und Errungenschaften. Unbewältigte Betroffenheit einerseits, gehäuftes positives Wissen anderseits sind zum hauptsächlichen Antrieb der neueren Belletristik geworden: «Authentizitätswahn» und «Realitätshuberei» einerseits (wie Thomas Bauer es unlängst diagnostiziert hat), Vernachlässigung und Missachtung von Mehrdeutigkeit beziehungsweise «Ambiguitätsvernichtung» andrerseits: «In der Kunst leistet der Authentizitätsdiskurs gute Dienste, um auch noch den letzten Firlefanz als Kunst durchgehen zu lassen.» Kunst, mithin auch Literatur muss heute leicht konsumierbar und via Quantität (als «Bestseller») erfolgreich, also kapitalistisch beglaubigt sein, während demgegenüber Qualität, die naturgemäss schwerer erkennbar, schwieriger zu rezipieren, zu beschreiben und zu rechtfertigen ist, als Bewertungskriterium verzichtbar, sogar störend zu werden scheint: «Kunst», so stellt Bauer fest, «die langes Nachdenken, stundenlange Kontemplation, gar eine lebenslange Auseinandersetzung mit einem Werk nach sich ziehen könnte, hat keinen Platz mehr.»

Im Ergebnis haben sich «auf der Suche nach Bedeutungslosigkeit» zwei unterschiedliche literarische Rhetoriken herausgebildet, die man, beide, als faktographisch bezeichnen könnte. Im einen Fall geht es um Fakten aus der eigenen Lebens- und Alltagswelt, im andern um gesammelte Daten aus dem Medienbereich. Insgesamt liefern also persönliche (fast durchweg negativ geprägte) Erfahrungen einerseits und weitläufiges Recherchieren im Internet anderseits den Stoff, aus dem die mehrheitliche aktuelle Literaturproduktion sich nährt und der ihre entsprechend empfängliche Kundschaft irgendwie anzusprechen vermag. Dass ein Autor, eine Autorin durch allzu hohen künstlerischen Anspruch dieser schwindenden Kundschaft die Lektüre «schwer» oder jedenfalls «nicht leicht» macht, ist zu einem ebenso bequemen wie vernichtenden Kritikpunkt geworden.

Allerdings kann solche Kritik nur noch wenige unter den schreibenden Zeitgenossen treffen. Denn «schwierige» (heisst: schwer verständliche) Texte – ob Prosa, ob Lyrik – sind zur raren Ausnahme geworden. Was man gemeinhin zu lesen bekommt, ist der Aussage wie der Ausführung nach meistens problemlos fassbar, entspricht weitgehend den Erwartungen, erfordert kaum noch eine sinngebende Verstehensleistung: Die Lektüre gerät zum Nachvollzug voraussehbarer Handlungsverläufe und Gedankengänge. Die Wikipedia und die eigene Lebenserfahrung genügen durchaus als Leitfaden bei der Erschliessung wie auch zur Einschätzung heute gängiger Belletristik. Die wirklich «schwierigen» Texte, die ohne Entzifferung und strenges Gegenlesen kaum verständlich wären, sind – unwiederbringlich – von gestern.

Derzeit sorgen die meisten Literaten von sich aus dafür, dass ihre Klientel – Kritik wie Publikum – intellektuell und inhaltlich nicht überfordert, sondern spassig, grauslig, spannend, auch kumpel- oder lehrerhaft unterhalten wird. Insofern dominiert die U-Literatur sowohl die Produktion als auch die Rezeption von Literatur schlechthin.

Von E-Literatur mag neuerdings niemand mehr reden, sie ist zur Peinlichkeit geworden – sie zu fordern … sie zurückzufordern, käme einem Gratisakt gleich. Ohnehin nimmt sich alles ungefähr gleich aus. Der prägnante, vielleicht gar unverwechselbare Personalstil ist obsolet geworden und einem gleichförmigen Zeitstil gewichen, der sich vorab aus der Alltagsrede alimentiert, aus aktuellen Sprach- und Sprechtrends, aber auch zitathaft aus beliebigen, im Internet leicht erreichbaren Fremdtexten. Stilistische Differenzen – und Differenzen allgemein – werden somit weitgehend eliminiert, so dass die Plauderprosa eines Knausgaard oder Houellebecq oder Boyle oder McEwan oder Suter oder Sibylle Berg (und so fort) kaum noch zu unterscheiden ist von den medial recherchierten, mit Fakten und Wissen überfrachteten Erzählwerken, wie man sie von Kehlmann, Ransmayr, Setz, Dath, Cotten, Kenah Cusanit oder David G. L. Weiss kennt.

Einem aufkommenden Trend opportunistisch und unkritisch zu folgen, ist ebenso verfehlt, wie ihn – weil er sich als Trend zu erkennen gibt – aus Prinzip abzuschmettern. Mag ja sein, dass rasch wechselnde Trendstile dem heutigen Life style definitiv besser entsprechen als das, was man einst als Personalstil oder Epochenstil hochgehalten hat. Vielleicht sollte man sich damit abfinden, was Nicolás Gómez Dávila ebenso ironisch wie abgründig in einem seiner Aphorismen zu bedenken gibt: «Das Beste setzt sich immer durch, weil das, was sich gemeinhin durchsetzt, gemeinhin auch für das Beste gehalten wird.“

II
Autoren und Juroren im Literaturbetrieb

Eine schwierige Wechselbeziehung

Wer als Autor heute etwas auf sich hält und als erfolgreich gelten will, muss möglichst „zahlreiche“ Preise, Stipendien und sonstige Ehrungen namhaft machen können, um sich im Literaturbetrieb entsprechend zu positionieren. Zumal in der Verlagswerbung, aber auch auf den persönlichen Websites von Schriftstellerinnen und Schriftstellern scheint die Auflistung einschlägiger Auszeichnungen unabdingbar geworden zu sein, und in manchen Fällen übersteigt die Anzahl der Preise bei weitem die Anzahl der vorab publizierten Werke.

In betrieblicher Hinsicht sollen Preise einerseits als neutrale und professionelle Qualitätsgarantie gelten, anderseits bedienen sie das verbreitete Bedürfnis, Werke der Literatur – ähnlich wie sportliche Leistungen oder wirtschaftliche Erträge – durch Ratings objektiv zu bewerten. Aus meinen eigenen Erfahrungen als Juror wie als Preisträger weiss ich allerdings, dass Professionalität und Objektivität bei der Vergabe von Literaturpreisen nicht die Regel, sondern die seltene Ausnahme sind.
Um die Qualität der auszuzeichnenden Texte geht es in aller Regel zuletzt. Den Vorrang hat zumeist nicht das Werk als Kunst, vielmehr der Autor als Person. Persönliche Beziehungen zwischen Juroren, Sponsoren und Autoren, ob direkt oder indirekt gepflegt, präjudizieren in allzu vielen Fällen die Preisvergabe oder aber, umgekehrt, sie verhindern sie. Dazu kommen unausgesprochene Vorurteile, mal negativ, mal positiv geprägt, und auch die nationale oder regionale Herkunft eines Kandidaten, seine Verlagszugehörigkeit, sein Geschlecht, sein Alter, gelegentlich auch seine politische Verortung fallen als Kriterien deutlich stärker ins Gewicht als sämtliche werkbezogenen Sachfragen. Nicht zu vergessen die Eigendynamik des Preiskarussells, die oftmals dazu führt, dass vorzugsweise ausgezeichnet wird, wer bereits ausgezeichnet worden ist; dass also vorgängige Auszeichnungen immer noch mehr Auszeichnungen nach sich ziehen: Die Preisträger von gestern sind die bevorzugten Preisträger von morgen.

Wer einender namhaften Literaturpreise für sich buchen kann, ist damit generell als Preisträger habilitiert und wird in der Folge immer wieder in die Kränze kommen. Eine Laudatio bietet sich als Vorlage für die nächste an. Für Sponsoren und Juroren entfällt damit das Risiko von Fehlentscheidungen, aber auch die Chance, unbekannte oder unangepasste Talente zu fördern und ins Gespräch zu bringen.

Wenn ein Text juryintern überhaupt als solcher diskutiert und nicht nur einfach, wie üblich, lanciert wird, dann bleibt es gewöhnlich bei subjektiven Erwägungen zu dessen „Inhalt“ oder „Aussage“ (psychologische, soziale politische Korrektheit), derweil formale Aspekte – Fragen des Stils, der Komposition – gar nicht erst zur Debatte stehen. Ein „ausgezeichneter“ Text muss keineswegs ausgezeichnet gemacht sein, vielmehr kommt es darauf an, dass er konsensfähig ist, konsensfähig innerhalb der Jury und zumutbar für ein breiteres Publikum.

Dies wiederum führt notwendigerweise dazu, dass ausserliterarische Kriterien wie „Aktualität“, «Authentizität», „Nachvollziehbarkeit“, „Unterhaltungswert“ usf. bei der Preisvergabe deutlich mehr ins Gewicht fallen als künstlerische beziehungsweise handwerkliche Qualitäten. Um diesem Missstand entgegenzuwirken, ihn gar zu beseitigen und somit eine sachgerechte Jurierung überhaupt erst zu ermöglichen, müssten literarische Werke grundsätzlich ohne Kenntnis ihrer Verfasser begutachtet werden – eine Forderung, die in der Praxis aus diversen Gründen nicht durchsetzbar ist, die aber jeder Preisrichter zumindest in Evidenz halten sollte.

Dass der vielfache Konsensdruck, der von Juroren, Verlegern, Lektoren, Werbeleuten, Buchhändlerinnen, Rezensenten sowie einer Mehrzahl von Lesern gleichermassen ausgeübt wird, letztlich die Mediokrität vor der Exzellenz privilegiert, ist offenkundig. Als Beispiele dafür wären beliebig zahlreiche „ausgezeichnete“ Autoren zu nennen, die sich sehr geschickt in den Erwartungshorizont sowohl des Literaturbetriebs wie auch der mehrheitlichen Leserschaft einzuschreiben wissen, ohne ihre Texte als Kunst legitimieren zu müssen, ein Sachverhalt, der nicht zuletzt auf die höchst erfolgreiche Lektoratsprosa fremdsprachiger Autorinnen und Autoren zutrifft, die Deutsch zwar können, nicht aber von Grund auf kennen – ihre Erzählwerke werden verlagsintern aufgearbeitet und dabei bis zur Verwechselbarkeit stilistisch nivelliert. Auch hierfür gibt es unerquickliche Beispiele zuhauf. Was sie alle mit fiktionalem Anspruch in Romanform vorlegen, liesse sich, der Intention und der Aussage nach, problemlos auch publizistisch abhandeln oder im Rahmen eines Interviews erörtern. Literarische Ansprüche sind hier fehl am Platz, Kunstfertigkeit erübrigt sich oder wird zur beiläufigen Peinlichkeit.

Die heutige Erfolgsbelletristik ist Teil des global instrumentierten business of culturemaking und muss, um zu reüssieren, deren Regulative befolgen – sie muss leicht lesbar, leicht verständlich, leicht übersetzbar und jedenfalls hinreichend „populär“ sein. Popularität setzt jene Konsensfähigkeit voraus, von der schon die Rede war, provoziert aber auch die Frage, wer oder was denn eigentlich Gegenstand des Konsenses sein soll: Der Autor? Das Werk? – Gilt der jeweils ausgefällte Preis dem Autor als Hervorbringer des Werks oder gilt er dem Werk als Hervorbringung des Autors?

Die Frage ist so elementar, dass sie kaum je gestellt wird, und doch müsste sie vor jeder Preisvergabe eigens beantwortet werden. Statt hinter ihrem Werk zu stehen, stellen sich zeitgenössische Autoren noch so gern davor, ohne im übrigen ihre Position zu reflektieren. Ist Autorschaft ein Job, eine Berufung, eine Existenzform? Ist der Schriftsteller jemand, der ein Werk - allenfalls ein Lebenswerk – bereits verfasst und herausgebracht hat, oder ist er vielleicht nur dann ein Schriftsteller, wenn er grade mit dem Stellen der Schrift beschäftigt ist? Die schlichte Tatsache, dass anonyme Autoren ungern gelesen und niemals mit Preisen bedacht werden, macht deutlich, wie schwach das Textbegehren ausgebildet ist und welches Faszinosum, andererseits, vom Autor als Person (oder auch bloss als Image) ausgeht.

Das sollte aber nicht die Einsicht verdunkeln, dass der Autor eigentlich niemand ist, dass er sein Werk nicht erschafft, sondern einfach dessen Entstehung ermöglicht in der Art eines Katalysators, der das jeweils verfügbare Sprachmaterial wie auch den jeweils verfügbaren literarischen Fundus immer wieder neu auf den Punkt bringt, ohne sich selbst dabei zu verbrauchen. Bei Preisverleihungen wird das auch weiterhin keine Rolle spielen, doch hin und wieder sollten die zuständigen Juroren die einfache Tatsache bedenken, dass Schriftsteller nicht bloss als Produzenten ihrer Werke, sondern auch als deren Produkte zu gelten haben.