Felix Philipp Ingold: LyrikText

“Falls Gott eine Erfindung ist - erhabene Erfindung - , wer gibt dann dem Wort Authentizät?” 
Georges Auclair (Convergences?)

Was wäre an meinen Büchern vorzuziehn, wenn nicht das, was sich der Bevorzugung entzieht?                        “Morgen des Missbehagens; schwarze Hölle des Wohlbehagens.                     Ich ruhe des nachts auf Myriaden von Feuerzungen.                                     Sterne. Sterne...”, schrieb er.

Das Denken wächst im Missbehagen seines Schattens.
Oh, könnte man, so wie es, wogen! Die Dunkelheit trägt uns.

Es gibt Bäume, von den Jahreszeiten unbeachtet, deren Früchte uns  geweiht sind. Bäume versteinerter Wälder mit grossen Blättern, die aussehn wie seltsame Grabsteine. Leg dich unter sie.
Hier stirbt man stufenweise.
 

Wie Tränen durch die Unendlichkeit oder Wassertropfen durch die Zeit ist das ”Du” vom “Ich” getrennt; jedoch mit ihm vereinigt auf ein gleiches Schicksal hin.

Was zum Fliessen bestellt ist, gibt dem Fliessen recht. Ist seine Berechtigung.   

Man kann einzig die Einheit erfassen. Der Zerfall ist innerlich.

Der Augenblick öffnet das Buch. Die Ewigkeit überrascht es. Schatten und Licht sind deren Trümpfe.
Du schreibst auf zwei unterschiedlichen Ebenen, in zwei unversöhnlichen Zeiten.

Stets pünktlich ist der Tod entweder zur unverrückbaren Zeit der Vergangenheit oder zur gestockten Stunde der Zukunft.

Der Marmor ist unser gebrochner Mast.

Das All ist ein fixer Punkt. Gott ist dieser Punkt.

Alles bewegt sich, weil es sich niemals bewegt hat. Schreiben, schreiben. Allein das Schreiben ist Bewegung.

Solang die Intoleranz auch nur eines einzigen Menschen Zustimmung hat, wird sie weiterhin ihre fettesten Jahre erleben.

“Was geht uns euer nachträglicher Unmut oder euer gelegentliches Weinen an?
Trocknet eure Tränen. Kehrt schleunigst zu euren Alltagsbeschäftigungen zurück.
Ihr werdet euren Verantwortlichkeiten uns gegenüber dann nur entkommen, wenn ihr euch hinter den Vorwänden verschanzt, die euch rechtfertigen. Reingewaschen von jeglichem Verdacht. Mit einer Schwemme von Wasser.”
“Schmutziges Wasser. Schmutziges Wasser”, schrien die Gemarterten.

Mensch, was du auch sagst oder tust, du bist Komplize. Die Zukunft wird sich für oder gegen dich aussprechen.

Man gibt vor, über eine Ungerechtigkeit sich aufzuregen, tatsächlich regt man sich bloss über das auf, was unverhofft, für einen Augenblick nur, das Wohlbefinden störte, dem man gerade hingegeben war.

“Den Opfern das Sterben beizubringen im Respekt vor ihren Herrschaften, dies ist das oberste Anliegen des Henkers”, hatte er notiert.

Auch der Unmut hat seine tolerierten - seine tolerierbaren - Abstufungen. Hatten wir es nicht zur Genüge unterstrichen?

Allein sich selbst gegenüber ist man wirklich aufmerksam, seinem eignen nächsten Abglanz gegenüber.
Der Andre ist der Eindringling, der die Gegebenheiten verfälscht.
Er gibt vor, den Andern zu lieben; er liebt, durch dessen Vermittlung, allein sich selbst.

Die, welche sich gegen die Intoleranz auflehnen, sind oft die Intolerantesten.

“Welchen Anteil an Verantwortung habe ich gegenüber andern? - den, welchen ein Baum gegenüber dem Wald haben könnte.
Wir sind gepflanzt”, sagte er.

Jemand anders ist mein Gesicht, und ich vernichte ihn.

Partei zu ergreifen, das ist bereits eine Form von Intoleranz; wie aber entzieht man sich ihr?

Er sagte, er nehme mich an, so wie ich bin, und er verweigerte den Austausch: er fürchtete, für einen andern gehalten zu werden.

Man sucht mit Worten das zu verknüpfen, was die Kraft der Leichtigkeit für sich hat und immer wieder an die Oberfläche steigt.
Freilich kommt es vor, dass diese blaue Wassermasse mit Blutflecken  übersät ist.

Sich zu entschuldigen ist für die Entschuldigung untragbar, wenn dieser Akt nicht durch ein Übermass an Toleranz gerechtfertigt ist.
Die Güte wird nicht nach ihren Schwächen bemessen.

Den Andern voll anzunehmen ist ebenso schwierig wie sich selber anzunehmen. In dieser Schwierigkeit liegt die ganze Last unsrer Einsamkeit.

Die Brüderlichkeit besteht nicht in der dem Andern dargereichten Hand; sie ist die Hand, die selbst den halben Weg zur Freundeshand auf sich genommen hat: eine glückliche oder auch eine unglückliche Liebesgeschichte.

Bleib. Selbst wenn du nicht sicher bist, ob ich da bin. Du wirst mich finden.

Gottes Triumph. Jegliche Abwesenheit ist Anwesenheit fürs Nichts, ist ein Aufwachen für die Leere.

Das Denken - wie die Freiheit, die Liebe, der Hass - verwirft jegliches Band, um selbst das seine zu knüpfen.

An das gebunden sein, was wir mit eignen Händen binden, und nicht an das, was uns zu binden bestrebt ist: Festigkeit der Verbindung.

“Such nicht die Sonne hinter den morgendlichen Nebeln, die sie verbergen, du würdest riskieren, durch ihre Dichtigkeit hindurch Mass zu nehmen an deiner Ohnmacht - in ihrer täglichen Grausamkeit”, pflegte er zu sagen.
Und er fügte hinzu: “Das Graue ist Grausamer als das Schwarze, denn es
lässt die Hoffnung zu.”

Was hat man, von sich selbst, weiterzugeben? - Ohne Zweifel nichts; jedoch ist dieses Nichts alles, was wir besitzen.

Die Hoffnung ist ein Aufstieben von welken Blättern; das Rascheln ihres Goldschimmers im Wind.