Gepostet von (Planet Lyrik) Redaktion am Jun 18th, 2023 in Felix Philipp Ingold: Skorpioversa, Ingold, Felix Philipp |
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Erneut ist ein kleiner grosser Skandal zu vermelden: Einem Schriftsteller wird ein Werkbeitrag verwehrt, weil in seinem Probetext das Wort «Zigeuner» vorkommt und er, der Autor, nicht bereit ist, sich seine Wortwahl verbieten oder vorschreiben zu lassen.
«Zigeuner» – wie «Neger», wie «Weiber» oder «Krüppel» – ist ein offiziell geächteter Begriff, gilt als despektierlich, sogar als rassistisch, folglich wird seine Verwendung geahndet, in diesem Fall durch Verweigerung finanzieller Unterstützung für ein entstehendes Literaturwerk.
Der betroffene Autor wird also abgestraft, wird in seiner Arbeit und auch in seiner Ausdrucksfreiheit behindert. Doch wofür genau?
Geht es um Ausdrucks-, um Meinungsfreiheit?
Artikuliere ich, wenn ich überkommene Ausdrücke wie «Zigeuner», «Mohren», «Primitive», «Wilde» ausspreche oder hinschreibe eine vorgefasste Meinung (sei’s meine eigne, sei’s die gerade vorherrschende) und mache mich dafür verantwortlich, allenfalls haftbar, oder gehe ich davon aus, Wörter als solche seien neutral und würden lediglich durch ihren Kontext mal so, mal anders eingefärbt? Der «Primitive» ist ja eigentlich der Ursprüngliche, der «Wilde» – der Ungebundene; beides liesse sich demnach auch positiv konnotieren.
Im Einzelnen wäre sicherlich zu fragen, ob der Ausdruck «Zigeuner» im vorliegenden Fall zu einem Zitat oder zur fiktiven Rede einer Kunstfigur gehört; ob ihn der Erzähler wertfrei beziehungsweise naiv verwendet; ob und inwieweit der «Zigeuner» von den übrigen Protagonisten abgesetzt ist; ob es im vorliegenden Text andere Begriffe gibt, die man als problematisch inkriminieren könnte? – Da die fraglichen Textauszüge nicht greifbar sind, kann all das nicht überprüft werden.
Auch ohne dies stellt sich die Frage, inwieweit Sprache ein Anwendungsregulativ braucht, eine Supervision oder gar eine Begriffspolizei, die das Wörterbuch (und damit auch die Literatur) von kontaminierten Begriffen freihält, um nicht zu sagen: befreit. Und die Anschlussfragen: Wer soll wovor geschützt werden? Warum überhaupt mutet man – eine Jury, eine Lektorin, ein Rezensent – dem mündigen Lesepublikum und vorab dem betroffenen Autor solche Bevormundung zu?
Man denke an die Nomenklatur der NS-Zeit – wieviele der damals gängigen, weil offiziell forcierten Begriffe sind bis heute obsolet geblieben und können in alltagssprachlichem wie in literarischem Zusammenhang nicht mehr gebraucht werden, da sie nach wie vor dem «Wörterbuch des Unmenschen» eingeschrieben sind.
Kontaminierte Wörter wieder gebrauchsfit zu machen, ist ein Ding der Unmöglichkeit, solang ihr einstiger Missbrauch in Erinnerung ist. Die Erinnerung mag irgendwann verblassen; irgendwann wird man vergessen haben, dass und weshalb Begriffe wie «Mohr» oder «Eskimo» oder eben «Zigeuner» in Misskredit geraten sind. Im schlimmeren Fall könnten sie aber auch definitiv in Vergessenheit geraten und aus dem Wörterbuch verschwinden.
Und wer empfände dies als Verlust? – Ich gestehe, dass mir der Zigeuner lieber ist als der Roma, der Neger (von lat. «niger») lieber als der Schwarze, der Blinde lieber als der Sehbehinderte: Für mich sind dies die interessanteren, auch die besser klingenden und besser passenden Begriffe, und mein Anspruch bleibt, diese Begriffe ohne ihre weithin behauptete Anrüchigkeit frei zu verwenden. Mein Wörterbuch braucht und duldet keine Zensoren. Und im übrigen kann auch jemand, der korrekt von den «Roma» spricht, ein Verächter der «Zigeuner» sein.
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik