Felix Philipp Ingold: LyrikText

Wer es dem Schriftsteller überlässt, sein Schaffen für uns zu kommentieren, verbannt ihn gewissermassen aus seinen Werken.

Auf den ersten Blick könnte dies widersinnig erscheinen, denn wenn man ihn um die Erfüllung dieser Aufgabe bittet, dann doch eben deshalb, damit er uns - wie die Ortsherrschaft ihre Besucher - in seine Bücher einführe.

Allerdings findet sich der Schriftsteller, vor seinem Text, in der gleichen Lage wie der etwaige Leser; bietet sich uns der Text doch stets so dar, wie wir ihn lesen können. Er ist noch jedesmal der Text unsrer Lektüre, das heisst ein neuer Text.

Der Schriftsteller schreibt sich beim Lesen, der Leser liest sich im Geschriebnen.

Beiläufig gibst du deinen Namen ab.   


Gross ist der Spielraum zwischen freier Hand und weissem Blatt. Freilich wird man mich nicht in diesem Spielraum finden können, sondern in dem noch weissern Raum, der das gesprenkelte vom durchsichtigen Blatt trennt; die geschriebne Seite von der zu schreibenden Seite: mithin in diesem unendlichen Raum, wo der Blick dem Blick und die Hand der Feder zurückerstattet ist; wo alles, was man schreibt, beim Schreiben selbst verwischt wird; während unmerklich im Buch, das man nie vollenden wird, das Buch entsteht.

Da ist meine Wüste.

(Der Unterschied zwischen der Lektüre des Autors und der des Lesers liegt vielleicht im Wagnis einer ersten blinden Leküre, aus der das Buch entstehn wird, für das allein der Autor Verantwortung trägt, und der Chance einer jeden andern Lektüre, welche ausgehend vom Text, den der Leser sich angeeignet hat, eben diesem Text eine unvermutete Dimension geben wird.

Eine Lektüre also vor dem Buch, die des Autors, und eine Lektüre nach dem Buch, die des Lesers.

Am Grund des Ozeans fasziniert den Schriftsteller ein unentzifferter Text; was für den Wagemut seiner Tauchgänge spricht! Und wenn die Wörter, die er mitbringt, schwarz sind, so zweifellos deshalb, weil die Tinte, sind sie einmal, wie achtsame Kraken, aufgetankt mit Gift, ihre verblüffende Waffe ist.

Die Lektüre ist Tochter des
Lichts.)

Mit jedem Schritt vernichtet das Buch ein wenig mehr das Modell, dem es sich anzunähern meint.

O Einsamkeit des Zeichens.